Das Kind und der Tod

Wie Kinder sich Tot-Sein vorstellen*

Wie man einem Kind erklären kann, was Tod ist und was Sterben bedeutet, hängt von seinem Alter ab. Kinder erleben sich und die Welt in unterschiedlichen Entwicklungsphasen anders.
Für ein bis zu drei Jahre altes Kind ist ein Mensch da, oder er ist weg. Auch den Tod erleben sie als An- oder Abwesenheit eines Menschen. Sie haben noch kein Verstaendnis von Tod und kennen noch keine Trauer im Sinne Erwachsener. Das bedeutet aber nicht, dass Kinder die Abwesenheit einer Bezugsperson leicht nehmen. Wenn Kinder eine zentrale Bezugsperson verlieren, geraten sie schnell in einen Zustand der Desorganisation - vergleichbar mit einem Trabant, der nicht mehr um seinen Planeten kreisen kann.

Im Vorschulalter ist für Kinder der Tod zunächst so etwas wie Fortgehen. Weil sie die Endgültigkeit des Todes noch nicht begreifen können, reagieren Kinder dieses Alters auf den Tod spontan und ungezwungen. Um das vierte Lebensjahr herum kann bei Kindern das Bedürfnis festgestellt werden, über den Tod zu sprechen und Fragen zu stellen. Fünfjährige glauben, dass nur einige Menschen sterben. Sie verstehen noch nicht, dass der Tod einmal jeden trifft.
Im Grundschulalter verstehen die Kinder den Tod als eine Realität. Sie interessieren sich dann eher besonders für die biologischen Aspekte von Tod. Zum Beispiel graben Kinder ihre begrabenen Haustiere aus um zu schauen, was aus ihnen geworden ist. Langsam begreifen Kinder, dass Verstorbene nicht wieder lebendig werden. Interessanterweise beginnen Kinder im Grundschulalter sich mit unsterblichen Heldenfiguren zu beschäftigen.


Ab ca. dem 10 Lebensjahr begreifen Kinder, dass der Tod ein unausweichliches und unwiderrufliches Ereignis ist und dass auch sie einmal sterben werden. In diesem Alter beginnen viele Kinder, sich vor dem eigenen Tod oder dem Sterben der Eltern zu fürchten. Auch können sie unter Todesphantasien leiden und Angst vor Schmerz und Leid haben.
Engel
Kind an Grab

Wie mit Kindern über den Tod sprechen?

Wenn Kinder nach dem Tod fragen, wollen sie oft nicht so sehr etwas wissen, als vielmehr über Tod und Sterben reden. Rückfragen wie "Wie stellst du dir das denn vor?" können helfen, die Phantasien des Kindes allmählich auszuloten und es schrittweise an die Realität heran zu führen.

Nach seinen Erklärungen sollte der Erwachsene das Kind fragen, ob es damit zufrieden ist oder ob es mehr und anderes erfahren möchte. Einem Kind sollte vermittelt werden, dass es jederzeit wiederkommen kann, wenn neue Fragen auftauchen.

Für ein Gespräch mit einem Kind über Sterben und Tod braucht es die Traute, den Mut eines Erwachsenen! Und es braucht menschliches Feingefühl. Ziel eines oder mehrerer Gespräche mit einem Kind über Sterben und Tod sollte sein, dass das Kind einen eigenen Umgang mit diesem schwierigen Thema findet. Durch ein persönliches Gespräch können einem Kind abstraktere und allgemeinere Glaubensvorstellungen, die dem Kind aus der Religion der Eltern her bekannt sind, ganz konkret in Bezug gesetzt werden.

Der Tod ist für Kinder nicht tabu. Sie stellen Fragen und wollen Erklärungen. Erst wenn Kinder merken, dass es Erwachsenen schwer fällt über den Tod zu sprechen oder wenn Kinder ausweichende Antworten bekommen, setzen Verunsicherung und Verstörungen auch bei Kindern ein. Kinder können mit der Wahrheit weit besser umgehen als mit Phrasen und Klischees, selbst wenn diese noch so gut gemeint sind. Wichtig ist, Kindern die Wahrheit zu sagen, ohne ihnen Angst zu machen. Am einfachsten steigen Erwachsene in ein Gespräch mit Kindern über den Tod ein, indem sie zunächst über ihre eigenen Vorstellungen, ihre Probleme und ihren Kummer über eine verlorene Person sprechen.
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Bei einer Bestattung ist es gut, wenn man die Kinder in die Gestaltung - insbesondere der Trauerfeier - mit einbeziehen kann. Dies ist meist nicht nur `schön kreativ`, sondern ist für die seelische Gesundheit der Kinder gut. Das Mitgestalten z.B. einer Trauerfeier ist eine Art der Bewältigung. Hierbei sollten Kinder allerdings nicht belastet werden, sondern sie sollen sich ergänzend mit einem kleineren Beitrag einbringen können. Dies kann ein gemaltes Bild sein, ein Brief, der in den Sarg beigelegt wird, ein selbst gepflückter Blumenstrauss, ein Gedicht, ein Gebet etc. Auch können praktische Dinge wie die Auswahl eines Wahlgrabes in Begleitung eines Kindes gemacht werden oder kann das Kind bei der Trauerpost mitwirken. Mit solcherart konkreten Tätigkeiten kann sich für das Kind ein eigenes Verhältnis zu Sterben und Tod bilden.

Beispiel für eine tiefsinnige und wunderschöne Auseinandersetzung
mit dem Sterben von einem 9 jährigen Mädchen:

"Ich stelle mir vor, dass ich auf einem Regenbogen in den Himmel klettere - und dass der liebe Gott mich in ein Baby verwandelt - und dass ich wieder zur Welt komme, und immer so weiter, dass ich immer bessere Leben habe. Wenn ich das hundertmal gemacht habe, fängt alles von vorne an."

Wie Kinder trauern

Wenn Kinder und Jugendliche ihre Trauer nicht spontan zeigen, heisst das nicht, dass sie keinen Schmerz erleben. Meist trauern Kinder nicht erkennbar personenbezogen. Sie fragen aber z.B. nicht nach dem Toten oder lassen die verstorbene Person nicht mehr in ihren Gesprächen vorkommen. Der Schmerz kann verschoben werden und in seinem Zusammenhang unkenntlich sein. Kinder können im Zustand der Trauer z.B. intensiv auf Schicksale von Personen in Filmen oder Büchern reagieren oder auf Kleinigkeiten wie auf ein kaputt gegangenes Spielzeug auffallend heftig reagieren. Auch kann Wut bestehen darüber, dass eine nahestehende Person `weggegangen` ist und kann sich diese Wut indirekt in z.B. Feindschaften mit Spielkameraden ausdrücken. Ein Todesfall kann für Kinder ein schwerer Gewissenskonflikt sein, wenn sie der verstorbenen Person gegenüber negative Gedanken und Gefühle hegten. Kinder können sich dann am Tod schuldig fühlen. Hieraus können folgenschwere Depressionsprobleme entstehen.

Wenn Kinder gar keine Anzeichen von Trauer oder Traurig-Sein zeigen, liegt das meist an ihrer Umgebung. Oft spüren Kinder, dass ihr eigenes Leid bei den Eltern negative Gefühle hervorruft und sie verbergen darum ihren Schmerz.

Wie man es falsch macht

Die Idee Erwachsener, dass die Kinder `schon nichts merken`, ist unrealistisch. Kinder spüren den Kummer, registrieren die Anrufe, die Betroffenheit und die Unruhe, die mit einem Todesfall einhergehen. Eine Lücke, die ein Todesfall hinterlässt, kann nur durch Verstehen und Verabschieden geschlossen werden. Wenn Kinder das Geschehen nicht verstehen und nicht in ihre eigenen Erfahrungen einordnen können, fühlen sie sich ausgeschlossen und verunsichert. Eine Lücke bleibt. Eine verstorbene Person zu tabuisieren und jedes Gespräch über sie oder ihren Tod zu vermeiden, verlängert die Trauerzeit und belastet die seelische Entwicklung insbesondere von Kindern.
* 1 Quelle: "Kursbuch Kinder", 1993, Kiepenheuer & Witsch, Köln
* 2 Bild und Text aus: "Wenn Kinder trauern" Tobias Brocher, Kreuz Verlag Zürich 1981